Der Ursprung dieser ganzen Geschichte sind vermutlich schlichtweg Schuldgefühle. Allerdings muss ich gleich betonen, dass ich kein Mensch bin, der viel unter schlechtem Gewissen leidet – obwohl es Leute gibt, die behaupten, das liege eher an meinem dicken Fell als an dem Fehlen von entsprechenden Anlässen. Wie auch immer … Die Mitgliedschaft in der Society kann allerdings zweifelsohne von Zeit zu Zeit Schuldgefühle hervorrufen. Ich denke dabei nicht an die hungernden Millionen, die mit dem Geld ernährt werden könnten, das wir für Alkohol ausgeben, sondern vielmehr an dieses Gefühl, das dem Trinken des Society-Whiskys innewohnt.
Es geht hier vielmehr um das mehr oder weniger geistige Vergnügen, das mit der Verkostung eines guten Whiskys einhergeht: um das Wahrnehmen der subtilen Aromenvielfalt und der Einordnung der sie begleitenden Geschmacksrichtungen. Es geht um die mentale Anstrengung, die dies erfordert, und darum, wie wir uns fühlen, wenn wir das Glas nahezu achtlos runterspülen. Wir alle tun das von Zeit zu Zeit – zumindest mir geht es so. Das ist allerdings zugegebenermassen nicht unbedingt das Gleiche. Sie kommen nach Hause und möchten sich nach einem anstrengenden Tag entspannen. Oder Sie sind müde. Oder der Hund hat gerade in die Ecke gemacht und Sie «dürfen» seine Hinterlassenschaft nun beseitigen. Alles, was Sie jetzt wollen, ist ein kleines Gläschen Behaglichkeit. Also nehmen Sie ein Glas. Sie schenken sich einen Schluck ein und geben ein Tröpfchen Wasser dazu. Sie trinken und entspannen sich.
Doch dann kommt das schlechte Gewissen. Beim zweiten Glas wird Ihnen klar, dass die Glückseligkeit, die Sie empfinden, nur indirekt mit der Qualität des Whiskys zusammenhängt. Was Ihr Geschmacksbewusstsein betrifft, hätten Sie ebenso gut auch einen Blend trinken können. Nach diesem, vielleicht auch erst nach dem dritten Glas, betrachten Sie den Füllstand der Flasche und werden sich bewusst, was Sie sich gerade entgehen lassen haben. Wenn Sie moralisch veranlagt sind, denken Sie möglicherweise darüber nach, wie viel Gutes an Stelle dieser verpassten Gelegenheit hätte getan werden können. Und vielleicht (nur vielleicht) überlegen Sie, ob Sie nicht künftig auch immer einen anständigen günstigeren Tropfen im Haus haben sollten. Ihn könnten Sie dann bei derlei Gelegenheiten anstelle eines Whiskys der Society verwenden.
Ich halte es für meine Pflicht, Ihnen mitzuteilen, dass dieser Gedankengang schlichtweg ein Trugschluss ist. Probieren Sie es aus: Gehen Sie in den Supermarkt und kaufen Sie einen billigen Blend. Ihr Gaumen, der die Whiskys der Society gewohnt ist, wird diesen Eindringling ablehnen. Es wird sich nicht dieses unbekümmerte Wohlbehagen einstellen, das Sie in solch stressigen Momenten herbeisehnen. Stattdessen wird Ihre Entspannung durch eine unumstössliche Erkenntnis zerstört: Dieser billige Whisky ist definitiv nicht das, was Sie jetzt gerade gebraucht haben – wie man so schön sagt. Sie können nun philosophisch werden und daraus den Schluss ziehen, dass dies der Preis ist, den man für den gewohnheitsmässigen Genuss von gutem Alkohol zahlen muss. Oder aber Sie gehen in die Offensive und kaufen einen anständigen Malt von einer inhabergeführten Destillerie, denn daran gibt es keinen Mangel. Sie werden dann immer noch einen Unterschied schmecken. Er wird jedoch nicht so gross sein, dass er Ihre innere Ruhe zerstören könnte.
Zugegeben: Das gehört angesichts von Hungersnot, Erdbeben und Kriegen nicht zu den grössten Nöten der Menschheit. Aber jeder tut, was er bzw. sie kann. Genau das hat Rebecca, die smarte und einfallsreiche Marketingdirektorin der Society, im vergangenen Jahr als ein Missverhältnis bezeichnet, das korrigiert werden müsse. Sie schlug vor, eine Flasche zu produzieren, die diese Lücke füllt: Ein Tropfen, der tröstet, ohne zu fordern, der aufmuntert, ohne zu enttäuschen, und der ganz allgemein gut genug ist, um auch derlei Banausen zu entzücken.
Das ist keine einfache Mission. Doch Euan und seine Mitkuratoren nahmen sie auf sich. Sie durchforsteten die Whisky-Bestände der Society wie Trolle. Sie durchwühlten unsere Schätze, um zu sehen, welche unserer Reichtümer sie plündern könnten. Das Ergebnis war ein Whisky, der genau Rebeccas Vorstellungen entsprach: die wunderbare Verschmelzung mehrerer Sherryfässer. Ich habe ihn vor Kurzem verkostet. Sie haben mich dabei sogar gefilmt. Sie sagten, dass ihnen das sehr geholfen hat – und zwar, da ich mich nicht eindeutig dazu geäussert habe. Normalerweise beschreibe ich die Geschmacksvariationen. Hier beschränkte ich mich jedoch auf den Kommentar, dass dies ein schöner Whisky sei – was er zweifellos ist – und ich nuschelte ein paar allgemeine Floskeln vor mich hin.
Da ist er nun: Ein Society-Dram für jene Gelegenheiten, bei denen ein Tablett voller Gläser, Wasser und Verkostungsnotizen ein wenig zu viel des Guten wären. Es könnte sein, dass es bald mehrere Abfüllungen dieser Art geben wird. Die Frage war nur: Wie sollen wir ihn benennen? Die Antwort darauf musste Rebeccas finden. Sie konnte nicht das übliche, geheimnisvolle Nummernsystem der Society verwenden, da es nur für bestimmte Fässer verwendet wird. Sie beschloss, dass er einen ganz konkreten Namen erhalten soll – durchaus nachvollziehbar. Aber sie konnte keine Bezeichnung nehmen, die bereits für ein Getränk verwendet wird. Alle Namen, die es bereits gibt – und das sind sehr viele – gehören zu eingetragenen Marken. Nur die Inhaber sind per Gesetz berechtigt, sie zu gebrauchen.
Das war jedoch nicht das einzige Thema, das Rebecca beschäftigte. Sie machte sich auch über das kommende Jahr 2023 Gedanken, in dem die Society ihr 40-jähriges Bestehen feiert. Schliesslich hatte sie die perfekte Idee: Der Name muss den Spirit verkörpern, mit dem die Gründer die Society einst ins Leben gerufen haben – und der sie bis heute tief durchdringt. Wir beide haben mehrfach über mögliche Namen für den Dram diskutiert. Ich machte den ein oder anderen, wohl eher abwegigen Vorschlag. Aber ich fürchte, ich war keine grosse Hilfe. Rebecca schlug «Mischief» vor. Das klang zunächst ansprechend. Sie liess die Idee jedoch wieder fallen, als ich darauf hinwies, dass «Mischief» nicht nur «Schalk», sondern auch «Unheil» und «Schaden» bedeutet. Das wiederum ist sicherlich nicht angemessen. Man bedenke, dass das Hauptziel der Scotch Malt Whisky Society darin besteht, das menschliche Glück zu maximieren … (Ja, wir haben Spass bei dem, was wir tun. Das ist doch nicht verwerflich, oder?)
Ich weiss nicht mehr genau, wann es war. Ich glaube, Anfang des Jahres rief Rebecca an. Sie sagte: «Ich glaube, ich habe es.» «Maverick. Es bedeutet unorthodox, herrenlos, unabhängig, resistent gegenüber Autoritäten. Das passt perfekt zu eurem Spirit im Jahr 1983. Was hältst du davon?»
Ich war zunächst ein wenig zurückhaltend. Ich verstand den Reiz des Namens, hatte aber auf etwas Schottisches gehofft – wie «Cateran». Das ist letztlich auch nichts anderes als «Maverick». Aber es wäre gälisch. Ich musste jedoch eingestehen, dass kaum jemand weiss, was es bedeutet.
«Das ist ein amerikanischer Begriff», sagte ich, als ob das ein Gegenargument wäre. Mir wurde bewusst, wie oft ich mich freue, wenn ich ein neues Wort in der englischen Sprache entdecke, das von unseren Freunden jenseits des Atlantiks stammt. «Ich werde darüber nachdenken», sagte ich.
Ich brauchte eine oder zwei Wochen. Mein Haupteinwand drehte sich um die Assoziationen, die das Wort dank einer kitschigen TV-Seifenoper gleichen Namens hervorrufen könnte. Ich glaube, sie wurde in den 1970er Jahren ausgestrahlt. Sie erzählt die Geschichte einer Familie, die etwa im späteren 19. Jahrhundert im Westen der USA lebte. Die Handlung war eher nebensächlich und die Schauspieler machten sehr viel Gebrauch von ihren Revolvern. Die waren damals in Wirklichkeit kaum zu bekommen und unerschwinglich. Sie wurden jedoch zu einem unverzichtbaren Bestandteil der mythenbeladenen Darstellung des «Wilden Westens». Rebecca verzichtete höflicherweise auf den Hinweis, dass nur Leute meines Alters derlei Assoziationen haben würden – und ich konnte das Argument nachvollziehen, dass sie nicht laut aussprechen wollte.
Mir fiel in der Tat kein weiterer Einwand ein. Nur aus reiner Neugierde schlug ich «Maverick» im Wörterbuch, bei Google und an verschiedenen anderen Stellen nach. Zu meinem Erstaunen stellte ich fest, dass das nicht nur der richtige Name war, sondern dass er gar nicht passender sein könnte. Aus folgenden Gründen:
Der Name stammt von einer historischen Persönlichkeit, einem Samuel Maverick. Er lebte in Texas und starb 1870, nachdem er eine ganz aussergewöhnliche Karriere durchlaufen hat. Er wurde in Carolina in eine vergleichsweise wohlhabende Sklavenhalterfamilie hineingeboren. Nach seinem Abschluss in Yale wurde er zunächst erfolgloser Goldgräber, dann Anwalt, Politiker und schliesslich Grossgrundbesitzer. Offensichtlich war er ein äusserst talentierter und umtriebiger Gauner. Er floh aus der Schlacht von Alamo und er gehörte zu den Unterzeichnern der texanischen Unabhängigkeitserklärung. (Letztere hat übrigens nicht im Geringsten etwas mit der Version von John Wayne zu tun und die Mehrheit der Verteidiger sprachen schottisches Gälisch). Maverick kämpfte nicht nur gegen die Mexikaner, sondern auch gegen die Komantschen, deren Anführer bemerkenswerterweise rote Haare und Sommersprossen hatte und auch gälisch sprach. Maverick sass im Gefängnis und wurde dann überraschend Bürgermeister von San Antonio und somit ein Mitglied der texanischen Legislative. Er erwarb rund 65’000 Hektar Land, auf dem er Rinder züchtete. Er weigerte sich allerdings, ihnen Brandzeichen zu geben – um sie nicht zu verletzen, wie er sagte. Ein solches Brandzeichen war die einzige Möglichkeit, den Besitz von frei laufenden Rindern nachzuweisen. Somit konnte Maverick behaupten, dass alle nicht gebrandmarkten Rinder ihm gehörten. Genau das tat er auch. Es wäre überflüssig zu erwähnen, dass sich seine Gegner sicher waren, dass dies sein Motiv dafür war.
In diesem Zusammenhang ist der Begriff «Marke» sehr spannend, denn er wurde erstmals im 19. Jahrhundert für «Whisky-Marken» verwendet. Es handelte sich dabei um Etiketten, mit denen der Besitz der Ware belegt wurde. Daher stammt der Begriff. Er ist eine Metapher und sein Ursprung ist ein heisses, glühendes Eisen. Als wir 1983 beschlossen, die Society zu gründen und individuelle Fässer abzufüllen, begegneten wir einer grossen Hürde: Alle Brennerei-Namen sind eingetragene Warenzeichen. Vielleicht erinnern Sie sich daran. So kam es zu dem Nummerierungssystem, das wir für alle Flaschen der Society verwenden – mit der Ausnahme von «Maverick». Ziemlich passend. Finden Sie nicht auch?